Gregors zweiter Fasten-Wanderbericht

Fülle

Wenn es so ist, dass wir nur einen kleinen Teil von dem leben können, was in uns ist – was geschieht mit dem Rest?
Amadeu Inácio de Almeida Prado (aus dem Film: Nachzug nach Lissabon)

Es war eine bewegte Woche, seit ich das Kneipp Traditionshaus Bad Mühllacken verlassen hatte, um nach Maria Taferl aufzubrechen. Mit reichen Glücks- und Segenswünschen beschenkt, schulterte ich meinen Rucksack und trat in die Kälte hinaus. Ein eisiger Wind pfiff über die Hügelketten hinter dem Kloster. Die Kälte kroch l1_quelle am pöstlingbergangsam in meinen Körper doch gleichzeitig flog ich regelrecht hügelauf und hügelab Linz entgegen. Die Fastenwoche hatte in mir ungeahnte Kräfte freigesetzt und ich fühlte mich körperlich und geistig in Höchstform.

Am Pöstlingberg entdeckte ich eine ganz besondere Heilquelle. Obwohl die Umgebungstemperaturen winterlich anmuteten, floss das Wasser wohltemperiert aus dem Bergesinneren. Es war weich, leicht süßlich und hatte einen fast paradiesischen Geschmack. Auf wundersame Weise gestärkt, entschied ich spontan einen Abstecher nach Hause zu machen, um wärmere Winterkleidung einzupacken. Der eiskalte Ostwind versprach ein paar frostige Tage während ich einfach im Glauben daran, dass nun der Frühling vor der Tür stand, losgezogen war.

Nach einer kurzen Umpackpa3_romanisce krypta ardaggeruse trat ich glücklich über die wohlige Wärme der Haube und der dicken Handschuhe den weiteren Weg an. Spontan war Bernadette dazugestoßen. Sie wollte mir einige magische Orte am Wegesrand zeigen und so verbrachten wir gleich zu Beginn unseres gemeinsamen Weges unvergessliche Augenblicke in einem alten Kloster. Das Stift Ardagger unweit von Amstetten hatte scheinbar nur für uns seine Pforten geöffnet, denn wir waren an diesem winterlichen Nachmittag die einzigen Gäste. Verzaubert bewunderten wir uralte Glasfenster, kunstvolle Schnitzereien und fühlten uns in der romanischen Krypta in längst vergangene Zeiten zurückversetzt.
4_tausendjährige eibeVorbei an der Heilquelle der heiligen Ottilia am Kollmitzberg spazierten wir über hart gefrorene Wiesen, durch verschneite Wälder und entlang romantisch mäandernden Bächen zur tausendjährigen Eibe hoch oberhalb dem Donautal. Welche Geschichten könnte dieser Baum wohl schon erzählen? Schweigend setzten wir uns an den Stamm gelehnt in die Wiese und ließen unseren Blick zur Donau hinunter schweifen.
Als es bereits dämmerte erreichten wir Grein und entschieden spontan ins Kino zu gehen. Horst führt dort ein sympathisches Programmkino und was für eine Freude, es stand Nachtzug nach Lissabon auf dem Programm, ein Film voller Poesie und philosophischer Erkenntnisse. Der letzte Wandertag nach Maria Taferl war kein Lichtblick. Am Tag davor war ich noch zusammen mit Karin durch die Wälder oberhalb des Donautals und durch die mit Eiszapfen übersäte Stillensteinklamm gewandert, nur um dann fast den ganzen Tag entlang der stark befahrenen Donauuferstraße die aufgestaute Donau entlang zu spazieren.

7_ donauuferstraße lkw und kraftwerkStändig donnerten Lkws und Autos knapp an mir vorbei und ich dachte daran was für ein magischer Fluss die Donau wohl einst gewesen sein musste bevor sie zum Motor für unzählige Kraftwerksturbinen wurde. Noch in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhundert soll es in dem einzigen Strom Europas, der in Ost-West Richtung fließt riesige Störe bis sechs Meter Länge gegeben haben. Heute ist der Fluss einbetoniert, begradigt, sind die Aulandschaften trocken gelegt und ist er fast in seiner ganzen Länge durch Österreich aufgestaut – die Erde einzig und alleine als Ressourcenlieferant, um unsere wachsenden Sehnsüchte nach ständig steigendem Wirtschaftswachstum zu befriedigen.

Die letzten Schritte bis Maria Taferl führten mich durch eine Allee uralter Bäume. Die Sonne schien und die Schneekristalle funkelten in allen Farben. Weit unterhalb floss die Donau und mein Blick reichte bis zum mystischen Ötscher. In Maria Taferl besuchte ich das nächste Fastenhotel meiner Reise, das Hotel Rose.

Franz und Bar10_teebara Eilnberger begleiteten dort gerade eine Fastengruppe und ich kam genau rechtzeitig zum nachmittägliche Spaziergang. Als Stärkung gab es unterwegs inmitten einer großen Wiese einen auf dem Lagerfeuer zubereiteten Kräutertee.
Nachdem sich einige der Fastengäste in die Sauna zurückgezogen hatten buken wir in der Küche noch alle zusammen ein köstliches Fastenbrot, denn am darauffolgenden Tag war das Fastenbrechen angesagt.

 

12_abendliche fastenmahlzeitDie Fastenden durften sich aber vorerst nur an dem Duft des frisch gebackenen Brots erfreuen – doch wir traten dafür direkt aus der Küche an den reichlich gedeckten Abendtisch. Barbara teilte einige Gedanken als geistige Inspirationsquelle und dann stärkten wir uns noch mit einem wunderbaren frisch gepressten Saft und einer Kanne erlesenem Biokräutertee. Der üppige Blumenschmuck am Tisch trug das Seine dazu bei, dass unser Zusammenkommen von einer wundersamen Fülle getragen war. Franz und Barbara begleiten die Fastengruppen auf liebevolle Weise und sind immer als Stütze zugegen falls jemand von den Fastenden Hilfe braucht; ja ich hatte den Eindruck es wäre viel mehr ein große Familie als ein Hotelbetrieb.

Der Blick von meinem Hotelzimmer reichte hinunter bis zur Donau, die weit unterhalb gemächlich in Richtung Schwarzem Meer floss. Der Film Nachtzug nach Lissabon kam mir wieder in den Sinn und ich dachte daran wie es wohl wäre wieder einmal aus dem gewohnten Lebensrhythmus auszubrechen, etwas scheinbar ganz Verrücktes zu machen, wie es eben auch Raimund gemacht hatte, als er einfach in den Zug nach Portugal gesprungen war und seine Arbeit zurückgelassen hatte.

5_eibeJa wieder einmal hatte ich das Gefühl viel, viel mehr zu sein als ich bisher gelebt hatte… Ich spüre, dass ich nach meiner Fastenwanderung zu Ende des Frühlings, nach einer ausgiebigen Reinigung von Geist und Körper wieder etwas ganz Neues ausprobieren werde. Was es sein wird weiß ich noch nicht, ich schaffe mir nun einfach einmal einen Freiraum und dann werde ich ihn damit füllen was ich noch nie gemacht habe, wovon ich vielleicht unterbewusst seit langem geträumt hatte – um wieder ein Stück weiter ganz zu werden.