Vom Brauchen und Wollen

Jedes erfolgreich durchgeführte Fasten konfrontiert Fastende u. a. mit dieser Frage: Was brauche ich wirklich?!?

Die Erkenntnis, mit wie wenig Lebensmitteln man „auskommt“, ist zumindest für ErstfasterInnen überraschend. Dass der Organismus in seiner ganzen Kompliziertheit weiter funktioniert (und das auch noch gut!) liegt u. a. an den körpereigenen Reserven an Energie und Nährstoffen, über die (auch schlanke) Menschen für so einen relativ kurzen Fastenzeitraum verfügen. Den Bedarf an Nährstoffen kann man messen (in g/mg/µg pro Tag/pro kg Körpergewicht…) und sog. Zufuhrempfehlungen in einschlägigen Fachwerken nachschlagen (Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr D-A-CH, letzte Auflage 2015).

Das ist das, was wir brauchen, der Nährstoffbedarf und darüber herrscht bei den allermeisten KonsumentInnen auch Einvernehmen: die Ernährung soll unsere Bedarfe an Nährstoffen und Energie decken.

Im Alltag häufig jedoch ist eine Diskrepanz zwischen dem beschriebenen Bedarf (Kopfentscheidung) und dem Bedürfnis (sog. „Bauchentscheidung“): das was ich WILL ist also manchmal stark unterschiedlich/abweichend zu dem was ich BRAUCHE.

An dieser Stelle möchte ich kurz eine Frage diskutieren, die oft gestellt wird: ist nicht u. U. das Lebensmittel, das ich grad wirklich will auch das, was ich grad wirklich brauche? Gibt es nicht einen quasi instinkthaften Zusammenhang: mein Körper stellt ein momentanes Defizit an einem bestimmten Nährstoff fest und münzt das um in ein Bedürfnis nach einem ganz bestimmten Lebensmittel, das diesen Nährstoff (verstärkt) anbietet? Serotoninmangel => Serotoninbedarf => Bedürfnis nach Schokolade (enthält Tryptophan, die Vorstufe von Serotonin)? Oder noch einfacher: ich will Schokolade = ich brauch Schokolade, BASTA!!

Aus der Biologie wissen wir, dass Tiere sich mit allem, was sie brauchen befriedigend versorgen können. Dies funktioniert allerdings nur, wenn zwei wichtige Grundvoraussetzungen gegeben sind:

  • Die Instinkte des Tieres sind vollkommen unverfälscht
  • Der Lebensraum des Tieres (Biotop) ist vollkommen unverfälscht

Schon bei Haustieren können wir oft ein, durch jahrtausende lange Domestikation verfälschtes Instinktverhalten feststellen. Und unberührte Biotope sind in unserer Kulturlandschaft eine echte Seltenheit.

Übertragen auf uns Menschen muss man sich daher fragen:

  • Ist unser Instinktverhalten unberührt/unbeeinflusst von…?
  • Ist unsere Lebenswelt mit den Supermärkten mit ihren überbordenden Lebensmittelangeboten ein ursprünglich „menschengemäßes“ Biotop?

Ein Beispiel aus dem Alltag illustriert das Missverständnis zwischen Bedarf und Bedürfnis und zeigt, wie Fasten dabei helfen kann, einen möglichen Ausweg zu finden.

Nach einer gewissen Zeit konzentrierter Arbeit stellt sich manchmal „Hunger“ ein: etwas Essbares wird besorgt, ausgepackt, gegessen, die Verpackung versorgt und dann geht’s wieder. Aber war das wirklich Hunger (=Bedarf)?! Oder nicht vielmehr das Bedürfnis nach: Unterbrechung, nach Abwechslung? Wenn letzteres zutrifft, gibt es natürlich eine Fülle von Alternativen zu Essen: Bewegung, eine kurze Unterhaltung mit KollegInnen…

Auch bei einem gut betreuten Fasten tauchen ab und zu kleine „Hungermomente“ auf. Die Erfahrung zeigt, dass sich dies mit ein, zwei Gläsern/Tassen Wasser/Tee absolut befriedigend auflösen lässt: man kann den „Hunger“ quasi „wegtrinken“. Diese Erkenntnis könnte man aus dem Fasten in die lange Zeit nach dem Fasten mitnehmen. Beim sog. „kleinen Hunger zwischendurch“ erstmal was trinken. Das erhöht die Flüssigkeitszufuhr und befriedigt vielleicht auch das Bedürfnis nach einer kleinen Abwechslung.

M. Taubert-Witz