Rätsel – hafte Ernährungspyramide

Die meisten KonsumentInnen wissen, dass es eine Ernährungspyramide gibt. Wie genau diese aussieht ist allerdings häufig zweifel-haft. Verständlich: immerhin hat sich der Aufbau dieser bildhaften Ernährungsempfehlung im Laufe der Zeit mehrfach gewandelt.

So waren z. B. Getreideprodukte die längste Zeit die Basis über den Getränken und unter der Gemüse-/Obstposition (Deutsche Ges. f. Ernährung bis 2005). Seit geraumer Zeit sind diese Positionen auch in der Österreichischen Ernährungspyramide (seit 2010) vertauscht: Basis (über den Getränken) ist jetzt Gemüse und Obst, erst dann kommen Getreide-/stärkehältige Produkte (Kartoffeln). Eine Erklärung für diese frag-würdige Anordnung fehlt auf der Seite der AGES (Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, überprüft am 7. 5. 2021). Wie soll das in der Praxis umgesetzt werden: statt Brot mit Gurke Gurke mit Brot?!? Eine mögliche Erklärung ist, dass die große Bedeutung von Gemüse/Obst als Lieferanten von Ballaststoffen und sekundären Pflanzenstoffen hervorgehoben werden soll. Vor allem vor dem Hintergrund eines im Bundesdurchschnitt immer noch unbefriedigenden Verbrauchs an dieser Pflanzengruppe. Zwei weitere Details aus dieser Ebene der Pyramide sollen hinterfragt werden: in der Obstgruppe werden neben Äpfeln Bananen dargestellt. Ein klarer Widerspruch zur Empfehlung, heimische, saisonale Ware zu bevorzugen. Für viele unerklärlich ist auch die Gewichtung: von 5 Portionen täglich sollen 3 über Gemüse und 2 über Obst gedeckt werden. Eine zwar banale, aber realistische Begründung dafür könnte sein, dass in heimischer Landwirtschaft mengenmäßig mehr Gemüse als Obst erwirtschaftet werden kann.

Die Ernährungspyramide wird von vielen VerbraucherInnen wie auch Ernährungsfachkräften (seufz!) als allgemeinverbindliche Verzehrsempfehlung (miss-)verstanden, auch was die 5. Position (Fleisch, Fisch, Eier) betrifft. AGES: „Essen Sie pro Woche mindestens 1 – 2 Portionen Fisch und bevorzugen Sie dabei fettreichen Seefisch (Makrele, Lachs, Thunfisch)…“. Eine konsequente österreichweite Umsetzung dieser Empfehlung ist angesichts der bereits bestehenden Überfischung der Meere weder möglich noch sinnvoll. „Essen Sie pro Woche maximal 3 Portionen fettarmes Fleisch oder fettarme Wurstprodukte.“: das bedeutet für viele KonsumentInnen eine relativ drastische Einschränkung, die allerdings aus ökologischer wie auch gesundheitlicher Sicht absolut sinnvoll und gut begründbar ist. Trotzdem wird das von vielen nicht nur als „Erlaubnis“, ja Empfehlung zum Fleischverzehr gewertet und unterstützt das Vorurteil, eine Ernährung ohne tierische Produkte sei nicht möglich, bzw. bedenklich. Aber natürlich gibt es auch eine Ernährungspyramide für VegetarierInnen/VeganerInnen, die Giessener vegetarische/vegane Lebensmittelpyramide. Auch hier rangiert Gemüse/Obst unter den Getreideprodukten. Dies ist für mich nicht nachvollziehbar: auch vegetarische und vegane Ernährungsformen sollten elementare ökologische Gegebenheiten nicht ignorieren. So lassen sich (weltweit) in der Landwirtschaft stärkehaltige Grundnahrungsmittel (Getreide, Kartoffeln) in größeren Mengen erwirtschaften und leichter lagern als Gemüse/Obst. Die „Sattmacher“ bilden also fast überall in der Welt die Basis der Ernährung und dies kann und sollte nicht geändert werden.

Falls jemand meine Betrachtungen für übertrieben hält: bei Empfehlungen, die von gut ausgebildeten österreichischen Fachleuten entworfen und in Kampagnen mit österreichischem Steuergeld promotet werden würde ich mir mehr Sorgfalt wünschen.

Relativierend muss man aber feststellen, dass der Effekt von Werbe-/Informationskampagnen über die Ernährungspyramide auf die Gesundheit im Bundesdurchschnitt verschwindend gering ist. Zusammengefasst: schadet wenig, nutzt wenig, aber das viele Geld das das gekostet hat/kostet ist halt auch weg.

Martin Taubert-Witz