Die Kritik der Kirche an den Süßwarenautomaten

Mit den Warenautomaten der Gebr. Stollwerck begann die Ära der deutschen Münzautomaten. Von einer Studienreise nach Amerika inspiriert, setzte Ludwig Stollwerck 1887 die Idee um, Verkaufsautomaten mit Warenproben und Schokolade zu befüllen. Gemeinsam mit Max Sielaff und Theodor Bergmann entwickelte er die ersten Warenautomaten Modell „Rhenania“ und „Merkur“ mit gusseisernen Gehäusen von Bergmann und einem patentierten Münzprüfsystem von Max Sielaff. Nach kleineren Wandautomaten mit zwei Einwurfsöffnungen für den Verkauf von Schokolade und Bonbons, die bereits 1887 verbreitet waren, kamen in den folgenden Jahren auch große Standautomaten mit reich verzierten Gehäusen hinzu (siehe Abbildung links unten). 1893 waren bereits 15.000 Automaten in Deutschland aufgestellt, 1894 standen 4.000 StücErster Stollwerck-Automat „Rhenania“ von 1887k alleine in New York. Damit geht der Ursprung der Verkaufsautomaten in Deutschland auf Stollwerck zurück.

Erster Stollwerck-Automat "Rhenania" von 1887
Erster Stollwerck-Automat „Rhenania“ von 1887 © Volker Wendeler, Public domain, via Wikimedia Commons
 
Stollwerck-Automat von Volkmann aus dem Jahr 1892
Stollwerck-Automat von Volkmann aus dem Jahr 1892 © Volker Wendeler, Public domain, via Wikimedia Commons

Ludwig Stollwerck legte größten Wert auf formschönes Design: Der „Merkur-Automat“ galt sowohl in seiner äußeren architektonischen Form als auch in seiner inneren Ausstattung als ein wahres Prachtstück und fiel überall sofort ins Auge. Der große „Merkur-Automat“ von ca. 1890 bot bis zu 12 verschiedene Artikel zum Verkauf an. Unter den Bezeichnungen „Merkur“, „Rhenania“, „Hermes“, „Oktava“ und „Juno“ war um 1895 ein breites Angebot großer Standautomaten vorhanden, die sich, abgesehen von der unterschiedlichen Zahl der Einwurfsöffnungen, lediglich durch die leicht abgewandelten Giebelformen unterschieden. Die Trennung des Automatengeschäftes war nötig, um Verlust des Ansehens der Stollwerck-Produkte durch Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit den Verkaufsautomaten vorzubeugen.

Die Kritik an Automaten wurde öffentlich mit Besorgnis um die Volksgesundheit begründet, die Kirche äußerte Bedenken wegen des sonntäglichen Verkaufs von Süßwaren und möglicher Verführung von Gläubigen während der Fastenzeit. Insbesondere Konkurrenten reklamierten gerichtlich Verstöße gegen örtliche Gewerbeordnungen, Verkaufsverbote an Sonn- und Feiertagen und sogar Anstiftung zu Kriminalität von Kindern, die versuchten, durch Einwerfen von Hosenknöpfen an Schokolade zu gelangen. Die Finanzverwaltungen stellten Forderungen nach einer speziellen Besteuerung von Automatenverkäufen.

Deutschland im Wilhelminischen Zeitalter – dem endgültigen Übergang vom Agrar- zum Industriestaat.

Durch die sich rapide wandelnde Sozialstruktur des Wilhelminischen Deutschlands wird die Integrationsfähigkeit des politischen Katholizismus auf eine schwere Probe gestellt. Die neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts sind als der große Aufbruch der Arbeiter im Deutschen Reich charakterisiert worden. Nach Aufhebung des Sozialistengesetzes 1890 erlebte die Arbeiterbewegung, nicht zuletzt begünstigt durch die lang anhaltende Phase wirtschaftlicher Prosperität, ab Mitte des Jahrzehnts einen gewaltigen Aufschwung. Am allgemeinen Aufstieg der Arbeiterschaft, der zu den zentralen sozialen und gesellschaftlichen Vorgängen im Wilhelminischen Deutschland gehört, hatte auch die katholische Arbeiterbewegung entscheidenden Anteil.

Als 1891 die erste römische Sozialenzyklika „Rerum novarum“ erschien, in der sich mit Leo XIII. erstmals ein Papst in einem eigenen, gesamtkirchlichen Lehrschreiben mit der Sozialen Frage als Arbeiterfrage auseinandersetzte, legte sie nicht nur die Fundamente für eine katholische Soziallehre in einer industriellen Welt, sondern unterstützte insbesondere die aufwärtsstrebende katholische Arbeiterbewegung.

In Anlehnung an eine vor allem in Deutschland von Bischof Ketteler entwickelte naturrechtliche Argumentation stellte „Rerum novarum“ sowohl das Recht auf Privateigentum, als auch die Notwendigkeit staatlicher Sozialgesetzgebung und das Recht der Arbeiter auf freie Zusammenschlüsse heraus. „Rerum novarum“ »bedeutete Ermutigung und Bestätigung der katholischen Sozialbewegung in ihren damaligen fortgeschrittenen Ergebnissen.

„Das wird nun geradezu das Kennzeichnende am deutschen Katholizismus um 1900, der Wille zur Anteilnahme am gesamten Schicksal der Nation, das Bekenntnis zur Aufgabe des Hineinwachsens in das nationale Staats- und Kulturleben.“ So jedenfalls beschrieb ein Zeitzeuge das Bild, das die deutschen Katholiken und ihre Aktionen in der wilhelminischen Öffentlichkeit boten. Dieser Wille der Katholiken zur Integration war keineswegs beschränkt auf den politischen Raum, sondern richtete sich auch auf eine verstärkte gesellschaftliche Teilhabe am wirtschaftlichen und politischen Erfolg des Deutschen Reichs. Die katholischen Bürger des Deutschen Reichs waren zunehmend bereit, „die Leit- und Wertbilder des modernen, nationalbestimmten Industriestaates“ zu übernehmen.

Zum besseren Verständnis der schwierigen Situation der Kirche in der 80-iger Jahren des 19. Jahrhunderts kommt noch der sogenannte

„Modernismus-Streit“

Durch den Modernismus sah sich insbesondere das kirchliche Lehramt angegriffen. Der Begriff „Modernismus“ als eine einheitliche Bezeichnung für eine breitere Strömung wurde durch die päpstliche Gegenwehr konstituiert (nicht etwa durch programmatische Schriften der „Modernisten“). Teilweise anknüpfend an die theologische Richtung des „Syllabus errorum“ (1864) von Pius IX. und an seinen direkten Vorgänger im Amt Leo XIII. bezeichnete Papst Pius X., den Modernismus als „Sammelbecken aller Häresien“ (omnium haereseon collectum).

Insbesondere verurteilte er den von ihm so genannten Modernismus in der Enzyklika Pascendi vom 7. September 1907. Darin wurde die kritische Haltung des Lehramts gegenüber der Bibelkritik und der neuen Dogmenhermeneutik bekräftigt, ohne dass das Dekret den Begriff des „Modernismus“ benutzte.

In diesem von Papst Pius X. bestätigten Dokument des ‚Heiligen Offiziums‘, der heutigen Kongregation für die Glaubenslehre, vom 18. November 1907 verurteilte Pius X. nochmals die Lehren des „Modernismus“ und verhängte darin als Strafe für die Modernisten die automatische Exkommunikation.

Als tendenziell „modernistisch“ galt unter Pius X. auch die von der Hierarchie unabhängige Tätigkeit von katholischen Laien in Politik und Gesellschaft. Vorbehalte gegen eine Demokratisierung, deren Übergreifen auf die Kirche befürchtet wurde, zeigen sich schon in der Enzyklika „Pascendi“. Kritisch gesehen wurde auch die interkonfessionelle Tätigkeit von Laien, wie sich beim Gewerkschaftsstreit in Deutschland zeigte.

Pius X. führte 1910 den „Antimodernisten-Eid“ ein, mit dem jeder Kleriker dem Modernismus abschwören musste. Dies brachte unter anderem einige Theologieprofessoren in schwere Gewissenskonflikte. Der Antimodernisten-Eid wurde bis 1967 (!) verlangt; heute steht an seiner Stelle ein Glaubensbekenntnis.

In den Augen des Integralismus fiel unter den Modernismus oder praktischen Modernismus „alles, was auf Emanzipation, Selbständigkeit der Laien hinausläuft, vor allem jeder Versuch, die politische und soziale Aktion der Katholiken der unmittelbaren Weisung des kirchlichen Lehramts zu entziehen“. Alle Versuche einer Annäherung an die Denk-und Werthaltungen der Moderne – sei es in der kritisch-emanzipatorischen Absicht der christlichen Gewerkschaften, sei es im Bemühen, Anschluss zu finden an die Gegenwartskultur des bürgerlich geprägten Industriestaats – mussten daher in den Konflikt mit diesem integralistischen Verständnis des katholischen Glaubens führen.

Besonders Georg von Hertling hielt seinen Glaubensbrüdern den Spiegel vor und verwies auf „die inneren Gründe, die die deutschen Katholiken von Wissenschaft und Bildung fernhielten“, nämlich eine „Geringschätzung der Wissenschaft, die Auffassung von ihr als Bedrohung des Glaubens und einen übertriebenen Konservatismus“.

Von Dr. Med. Heinz Bixa (Fastenarzt)
Mitglied des ggf Vorstands; Gemeindearzt, Schularzt, Feuerwehrarzt, Lehrpraxisleiter, Lehrbeauftragter der NÖ-Ärztekammer für imaginative Psychotherapie

Literatur:

  • Wikipedia: Stollwerck
  • Liedhegener Antanius: Der deutsche Katholizismus um die Jahrhundertwende (1890–1914). Ein Literaturbericht
  • Brabeck-Lemathe Peter: Ernährung für ein besseres Leben. Eine Reise von den Anfängen der Industriellen Nahrungsproduktion zur Nutriogenomik. Campus Verlag Frankfurt/New York 2016.